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Stadtkirchentagspräsidentin Wencke Breyer fordert Umdenken in der Kirche

Wencke Breyer
Ausblick über Hannover für die Präsidentin des Stadtkirchentages, Wencke Breyer. Foto: Sabine Dörfel

Abschied von Privilegien

Wencke Breyer genießt den Blick vom Turm der Kreuzkirche über Hannover. Schnell hat sie hinter der Marktkirche und dem neuen Rathaus „die Pauluskirche, meine Heimatgemeinde“   erkannt. Schwer vorstellbar, doch die höchste ehrenamtliche Repräsentantin des Stadtkirchenverbandes steht zum ersten Mal auf der Aussichtsplattform der Citykirche. „Es hat einfach nie geklappt bisher“, sagt sie lächelnd und verabschiedet sich sichtlich ungern von dem luftigen Ausguck.

Seit Anfang 2019 ist Wencke Breyer Präsidentin des Stadtkirchentages Hannover. Davor saß sie schon rund 13 Jahre in dem Kirchenparlament, das über die Geschicke der rund 60 Kirchengemeinden Hannovers, der Diakonie und weiterer kirchlicher Werke entscheidet. „Mein erstes Amtsjahr war turbulent, vor allem durch die Corona-Pandemie und die Wahl des neuen Stadtsuperintendenten“, blickt sie zurück. Dass es in Zukunft ruhiger wird, hält sie für unwahrscheinlich. „Die Kirche steht vor großen Herausforderungen“, sagt die Diplom-Ökonomin. „Die 2019 erneut gesunkenen Mitgliederzahlen und die jetzt in der Corona-Zeit wegbrechenden Kirchensteuereinnahmen verschärfen unsere Lage drastisch.“  Schon bisher sei der Kirche viel Kreativität abverlangt worden, um den Wandel von der ehemals großen Institution Volkskirche hin zu einer deutlich kleineren Teilgruppe in einer pluralen Gesellschaft zu vollziehen.

„Dieser Prozess muss weitergehen“, blickt die gebürtige Hannoveranerin energisch nach vorne. Das erforderliche Umdenken bedeute den Abschied von dem „Privileg, seit Jahrzehnten und Jahrhunderten wie selbstverständlich Kirchenmitglieder zu haben.“ Es bedeute weiter, „die wertzuschätzen, die da sind und die zu gewinnen, die gegangen sind oder Kirche gar nicht mehr kennen.“  Eine Zielgruppe liegt der 42-Jährigen besonders am Herzen. „Singles zwischen Mitte 30 und Mitte 50 ohne Kinder haben häufig überhaupt keine Berührungspunkte mehr mit Kirche“, sagt Breyer, nicht zuletzt auch aus eigener Erfahrung. „Das muss uns die nächsten Jahre beschäftigen, zumal in rund 60 Prozent der hannoverschen Haushalte Singles leben.“

Attraktiv nicht nur für diese Zielgruppe könnten die sogenannten Profilkirchen sein. Nach ihrer neuen, Anfang 2020 verabschiedeten Verfassung fördert die Landeskirche diese spezielle Gemeindeform.  Profilkirchen haben in der Regel einen thematischen Schwerpunkt wie die Gospelkirche oder die Jugendkirche und bilden eine eigenständige Gemeinde, deren Mitglieder aus ganz Hannover oder dem Umland kommen. Das Prinzip „Mitgliedschaft nur in der Ortskirche“ ist bei den Profilkirchen aufgehoben.  „Warum nicht eine Profilkirche zum Thema Friedensarbeit, Popmusik oder Geschlechteridentität und sexuelle Vielfalt gründen“, überlegt die Stadtkirchentagspräsidentin. Profilkirchen könnten auch Ressourcen bündeln, „nicht jede Kirchengemeinde muss vielleicht einen eigenen Gospelchor haben“.

Angesichts der zukünftigen Herausforderungen wünscht sich Breyer rege Diskussionen in der Kirche. „Was macht unsere Kirche jenseits ihrer institutionellen Strukturen wirklich aus?“, „Wie engagiert sind wir noch, wenn wir wirklich kein Geld mehr haben?“, „Ist es eine Berufung, Pastor zu sein, oder doch nur ein Job?“, seien nur einige der Fragen, die sich stellten. Eines scheint Breyer sicher: „Wir werden mehr und deutlicher über unseren Glauben sprechen müssen und das Ehrenamt wird eine noch größere Rolle in der Kirche bekommen.“ Dass schon jetzt Ehrenamtliche das Gemeindeleben bedeutend prägen, möchte die Präsidentin innerkirchlich und gesellschaftlich stärker bemerkt wissen. „Es sollte selbstverständlicher werden, dass die Kirche beispielsweise bei städtischen Empfängen nicht nur vom Stadtsuperintendenten, sondern gleichrangig auch vom Präsidium des Stadtkirchentages oder Mitgliedern des Stadtkirchenvorstandes repräsentiert werden kann.“

Breyer weiß, wovon sie bei ehrenamtlichem Engagement für die Kirche spricht. Durchschnittlich zehn bis 15 Stunden wöchentlich investiert sie in die Arbeit für den Stadtkirchentag, ihr „Büro“ für diese Arbeit ist der häusliche Küchentisch. Ihre Funktion als Mitglied der hannoverschen Landessynode seit 2006, deren Erste Vizepräsidentin sie seit 2014 ist, hat Breyer da noch gar nicht eingerechnet. Was ist der Lohn für so viel Engagement? „Ganz viel Austausch, Horizonterweiterung, die Chance, etwas zu bewegen, sehr viele Freundschaften, die entstanden sind und halten“, fällt ihr das Aufzählen leicht. „Gremienarbeit beispielsweise macht mir ausgesprochen Spaß, selbst wenn ich dort als einzige junge Frau mit ergrauten Herren sitze, die sich mit Veränderungen schwertun“, sagt Breyer mit Augenzwinkern. Gesellschaftliches Engagement ist für die Stadtkirchentagspräsidentin eigentlich eine Selbstverständlichkeit. „Ich bin so erzogen worden: Nicht meckern, sondern sich einbringen und was machen“, lautet ihre Devise.

Sabine Dörfel/Referat für Öffentlichkeitsarbeit