Schumanns Musik ermöglicht neuen Blick auf Goethes Faust

Nachricht Hannover, 13. November 2015

Jörg Straube inszeniert das außergewöhnliche Werk in der Marktkirche

Robert Schumann selbst hielt seine „Faust-Szenen“ für eines seiner besten Werke, wenngleich sich die anspruchsvolle Komposition jeder Einordnung in gängige Schemata widersetzt. Jetzt sind Schumanns Klänge zu Goethes Worten in der hannoverschen Marktkirche zu erleben: Mit Solisten sowie dem Bachchor und dem Bachorchester Hannover inszeniert Professor Jörg Straube die „Szenen aus Goethes Faust“ am Sonnabend, 14. November. Das Konzert beginnt um 20 Uhr. Karten im Preisspektrum zwischen 6 und 39 Euro gibt es im Vorverkauf und an der Abendkasse.

Anders als der Komponist, der sein Werk niemals im Zusammenhang hörte, kann das Publikum in der Marktkirche die spektakulären Szenen aus Goethes Faust mit dem Bachchor, dem Bachorchester sowie den Solisten Marietta Zumbült und Ania Vegry (Sopran), Martina Borst und Katja Stake (Alt), Magnus Staveland (Tenor), Albrecht Pöhl (Bariton) und Tobias Schabel (Bass) erleben Goethes Dichtung durch Schumanns Musik besser zu verstehen: Dieser Wunsch wurde einem anonymen reisenden Enthusiasten bei der Uraufführung von Robert Schumanns Faust-Szenen im Januar 1862 erfüllt. Es gilt als Glücksfall, dass gerade der literarisch gebildete, hochsensible Schumann einen der anspruchsvollsten Texte deutscher Literatur vertont.

In der Geschichte der Faust-Musiken nimmt sein Werk einen besonderen Platz ein. Schumann legte seiner Musik den Originaltext von Goethes Drama nahezu unverändert zugrunde und nahm seine Verantwortung ernst. Kein Werk beschäftigte ihn so lange wie die Faust-Szenen. Als erster Komponist überhaupt nahm er sich des komplexen metaphysischen 2. Teils der Tragödie an, den Thomas Mann später als „nationalen Besitz von schrulliger Ungenießbarkeit“ bezeichnete. Schumann dachte zunächst an die Komposition einer Oper, zog aber auch eine „oratorienähnliche Form“ in Betracht. Da es ihm nicht um eine kohärente Handlung in Form einer kontinuierlich erzählten Geschichte, sondern um den offenen, visionären Charakter des Stoffes ging, wählte er als bewusst neutral gehaltenen Titel Szenen aus Goethes Faust.

Die Verklärungs- und Erlösungsmystik der letzten Szene bildet den Ausgangspunkt von Schumanns Interpretation. An diesem Teil, den er Fausts Verklärung nannte, arbeitete er vom 1844 bis 1848 und schuf seine vielleicht umfangreichste Partitur mit groß besetztem Orchester, gemischtem Chor und acht Solostimmen. Allerdings schien ihm das nicht abendfüllende Werk für den erforderlichen Aufwand „zu kurz“. Daher ergänzte er es um zwei weitere Abteilungen, in deren Mittelpunkt Gretchen und Faust als scheiternde, erlösungsbedürftige Menschen stehen: Gretchen zerbricht, Faust stirbt.

Anders als Goethe sympathisiert Schumann mit seinem Protagonisten Faust, der mit der menschlichen Begrenztheit und den Anfechtungen des eigenen Gewissens kämpft. In der Schumann‘schen Deutung findet Faust am Ende Erlösung durch das bedingungslos liebende Weibliche Göttliche, das durch Gretchen symbolisiert wird: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen … Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan“. Der symmetrische Aufbau des dreiteiligen Werkes wird abgerundet durch die 1853 komponierte Ouvertüre – nach fast zehn Jahren Auseinandersetzung mit dem Stoff und kurz vor Schumanns Zusammenbruch, der seine künstlerische Laufbahn abrupt beendete.