Streckt Reinhard Scheibe die Hand aus seinem Wohnzimmerfenster, kann er fast den Turm der Marktkirche berühren. Große Nähe zu Hannovers Citykirche hat der 78-Jährige auch die vergangenen neun Jahre gehabt. Seitdem engagiert er sich als Kirchenvorstandsvorsitzender für die Marktkirche, deren Vorstand er schon sechs Jahre zuvor angehört hatte. Am Sonntag, 27. Juni, wird er im Gottesdienst um 10 Uhr in seiner Kirche feierlich aus seinem Leitungsamt verabschiedet.
Es waren turbulente, aber auch erfüllende Jahre, in denen der ehemalige Staatssekretär und spätere Geschäftsführer der Lottogesellschaft unzählige Male den kurzen Weg von seiner Wohnung zur Kirche zurückgelegt hat. „In manchen Zeiten war das fast ein Halbtagsjob“, erzählt Scheibe. „Beispielsweise, wenn ich die Marktkirchenpastorin in der Geschäftsführung des Pfarramtes vertreten musste.“ Dann hatte der gebürtige Schlesier auch Arbeitgeber- und Vorgesetztenfunktion für die rund 15 Mitarbeitenden der Marktkirche. Ehrenamtlich sind etwa 70 Mitarbeitende in der Kirche tätig, „die beispielsweise die täglichen Öffnungszeiten der Citykirche sicherstellen“, erzählt er.
Machtvolles Gremium Kirchenvorstand
„Die Arbeit einer Pastorin oder eines Pastors kennen die meisten Menschen“, sagt Scheibe. „Dass der Kirchenvorstand jedoch bei den Protestanten ein machtvolles Gremium ist, wissen die wenigsten.“ Ob Bauvorhaben, Personalentscheidungen oder Finanzplanung, der Kirchenvorstand entscheidet in allen wichtigen Angelegenheiten einer Kirche mit. „Natürlich haben wir keine pastoralen Aufgaben, aber die Lesung im Gottesdienst habe ich oft und gerne gemacht“, erzählt Scheibe. „Und ein bisschen seelsorgerliche Tätigkeit war das auch, wenn ich unterschiedliche Interessen in der Gemeinde moderierend zusammenbringen musste.“
Kür neben der Pflicht waren dann für ihn die Mitgestaltung großer Veranstaltungen wie der jährliche Adventskalender oder die Lieblingslieder. Hier konnte er seine guten Verbindungen in die Stadtgesellschaft nutzen, um Rednerinnen und Redner beispielsweise aus dem Sprengelmuseum oder der lokalen Presse zu gewinnen. Spannend war für Scheibe natürlich auch, das Projekt des neuen Reformationsfenster für die Marktkirche zu begleiten. War er doch dabei, als der Altbundeskanzler und Fenster-Stifter Gerhard Schröder zum Handy griff, um den Künstler Markus Lüpertz für diese Idee zu gewinnen. „Wir wussten, dass es um dieses Werk gesellschaftliche Kontroversen geben würde“, blickt Scheibe zurück. Noch steht die endgültige Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle in dem Berufungsprozess gegen den Einbau des bereits fertigen Fensters aus, doch Scheibe ist zuversichtlich, den Einbau des Fensters in den nächsten drei Jahren zu erleben. So lange wird er Mitglied des Kirchenvorstandes sein, dessen Vorsitz jetzt der Kaufmann Martin Germeroth übernommen hat.
Zukunft fordert Kirchen heraus
Natürlich wird er nicht nur von seinem Wohnzimmer aus die weitere Entwicklung der Marktkirchengemeinde beobachten. „Rund 1000 Menschen gehören zurzeit der Marktkirche an, doch die allgemein abnehmenden Zahlen der Kirchenmitglieder zwingen uns zum Handeln“, sagt Scheibe. Perspektivisch kann er sich vorstellen, dass die „Innenstadtgemeinden, darunter auch die Neustädter Hof- und Stadtkirche sowie Kirchen in der Südstadt, sehr intensiv zusammenarbeiten werden.“ Dabei denkt er an „gemeinsame Kulturprogramme oder Formate gesellschaftlicher Dialoge“. Impulse erhofft er sich da auch von Marc Blessing, der ab Oktober als neuer Pastor der Marktkirche die Nachfolge von Hanna Kreisel-Liebermann übernimmt. „Blessing hat in Genf und Brüssel gearbeitet und könnte diese weltoffene und ökumenische Dimension miteinbringen“, blickt Scheibe zuversichtlich in die nahe Zukunft.
Information: Reinhard Scheibe wird am Sonntag, 27. Juni, um 10 Uhr im Gottesdienst aus seinem Amt als Kirchenvorstandsvorsitzender verabschiedet. Anmeldung für die rund 200 Plätze in der Kirche unter E-Mail: marktkirche.hannover@evlka.de.
Sabine Dörfel/Öffentlichkeitsarbeit im Stadtkirchenverband Hannover