Männer suchen vermehrt Gespräche bei der Cityseelsorge in der Marktkirche

Nachricht Hannover, 02. Januar 2023

Pastor Stephan Lackner ist einfach da. Am Eingang der Taufkapelle, zu Füßen die Tasche mit der Aufschrift Cityseelsorge, sitzt er freundlich abwartend auf seinem Stuhl. Von halb zwei bis drei Uhr nachmittags, fast jeden Tag. Ein Ruhepol in der Kirche mit ihren ein- und ausströmenden Besuchenden, ein verlässlicher Anlaufpunkt für Menschen, die ein Gespräch suchen. Und das sind zunehmend mehr. „Die Nachfrage nach unserem Gesprächsangebot ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen“, sagt der Seelsorger.

Als die Cityseelsorge des Stadtkirchenverbandes 2015 eingerichtet wurde, fanden im ersten Jahr 276 Gespräche statt. Die Zahl steigerte sich jährlich bis auf knapp 500, nach einer coronabedingten Verringerung waren es 2021 wieder 382 Gesprächskontakte und für das vergangene Jahr erwartet Lackner eine weitere Erhöhung. Auffallend sei, dass Männer knapp die Hälfte der Ratsuchenden ausmachten, sagt der Pastor. „Das ist im Vergleich zu dem Klientel beispielsweise von Beratungsstellen ein deutlich größerer Anteil.“ Lackner führt das auf die  besonderen Bedingungen der Cityseelsorge zurück. „Bei uns muss man sich nicht anmelden, kann spontan kommen, niemand wird nach dem Namen gefragt und man muss noch nicht mal ein Problem haben, wenn man mit uns reden will“, beschreibt er das Angebot. „Manche Menschen fragen erst nach den Öffnungszeiten der Kirche, kommentieren die Kunstwerke in dem Gotteshaus oder verwickeln mich in theologische Debatten“, sagt Lackner. „Dann kommt so nebenbei heraus, dass sie über sich reden wollen, aber nicht wissen, wie und womit sie anfangen sollen.“

Für Männer sei dieses sehr niedrigschwellige und anonyme Gesprächsangebot eine besondere Einstiegshilfe, hat er erfahren. „Weil es für Männer oft noch schambesetzt ist, ein Problem zu haben, sich schwach oder hilfsbedürftig zu fühlen, gehen sie auch nicht zum Pastor oder zur Pastorin ihrer Gemeinde, den oder die sie dann hinterher vielleicht im Supermarkt wiedersehen“, sagt der Seelsorger. Auch die Barriere für einen Termin in der Lebensberatungsstelle oder beim Psychotherapeuten sei oft noch zu hoch. „Aber nach einem Ausprobieren, wie sich ein seelsorgerliches Gespräch ohne große Bedingungen anfühlt, vielleicht nicht mehr“, meint Lackner. Natürlich gebe es auch sehr viele gezielte Gesprächsanfragen an die Cityseelsorge, in der neben dem Pastor noch zehn ehrenamtliche Seelsorgerinnen und -seelsorger arbeiten. Manche Menschen kämen regelmäßig, oft in Abständen von Wochen oder Monaten, andere bräuchten in einer Krise eine kurze, aber intensive Begleitung, wieder andere verließen nach einem einzigen, aber sehr langen Gespräch gestärkt die Taufkapelle der Marktkirche, erzählt der Pastor. „In der Coronazeit bin ich auch mit Menschen zum Reden draußen spazieren gegangen oder war telefonisch für sie da.“

Bei den Gesprächsthemen in der Cityseelsorge stehen vor allem Beziehungsprobleme im Vordergrund. „Dabei geht es um Partnerschaft, Freundschaften, das Verhältnis zwischen Kindern und Eltern, immer wieder auch um die Beziehung alter Eltern zu Kindern, die den Kontakt abgebrochen haben“, zählt Lackner auf. Ein weiteres wichtiges Thema sei Trauerbewältigung. Sehr oft berichteten die Gesprächspartnerinnen und -partner auch von ihrer Einsamkeit. „Der inzwischen allgemein akzeptierte und oft beklagte Befund, dass Menschen zu wenig miteinander reden, dass einander zu wenig zugehört wird sowie tiefe und verbindliche Beziehungen fehlen, schlägt sich bei uns nieder“, ist Lackner überzeugt. Immer noch erschreckt ihn, wenn er hört, dass sein Gegenüber seit einer Woche mit niemanden gesprochen hat, und er ist berührt, wenn ihm dafür gedankt wird, „dass Sie mir zugehört haben“. „Auch Menschen mit psychischen Problemen wie Angst, Depression, Burn-out oder Mobbing suchen uns auf“, berichtet der Pastor. Sie bräuchten „quasi einen Anker im Leben“, regelmäßige Anlaufpunkte und verlässliche Beziehungsmöglichkeiten. Oft sei der Freundkreis mit der Unterstützung überfordert, manchmal auch sehr klein oder instabil. Natürlich sei die Cityseelsorge kein Therapieersatz, betont er. Wer in einer ernsthaften Depression oder bedrohlichen Krise stecke, werde von ihm oder dem Team an entsprechende Hilfseinrichtungen verwiesen.

Die Cityseelsorge ist als Angebot des Evangelisch-lutherischen Stadtkirchenverbandes Hannover an die Wiedereintrittsstelle angegliedert, ein weiteres Arbeitsfeld Lackners, das in der Buchhandlung an der Marktkirche beheimatet ist. Auch dort ist der Seelsorger ansprechbar. Die Cityseelsorge in der Marktkirche ist von Montag bis Freitag jeweils von 13.30 Uhr bis 15 Uhr geöffnet.