Ein Plädoyer für eine suchende Kirche

Tasten und testen

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Eine Kirchengemeinde verteilt Toilettenpapier unter dem Motto „teilen statt hamstern“. Eine Diakonin hängt Osterüberraschungen an einen Zaun zum Mitnehmen. Ein Kirchenmusiker entdeckt musikalische Videoandachten als mögliche Form der Verkündigung.

Der gute alte Brief dient einer Kirchengemeinde dazu, mit den Gemeindegliedern in Verbindung zu bleiben. In Zeiten der Corona-Krise tragen unsere gewohnten und liebgewordenen Formen nicht mehr. Am Sonntagmorgen läuten zwar die Glocken, doch miteinander in der Kirche Gottesdienst feiern: das geht nicht. Gruppen und Kreise können sich nicht treffen. Sitzungen können allenfalls als Videokonferenzen stattfinden.

Ich nehme wahr, dass Pastorinnen und Pastoren, Diakoninnen und Diakone, Kirchenvorstände und Ehrenamtliche deshalb, andere Wege suchen müssen. Wie können wir in Kontakt bleiben mit den Menschen in unserer Nähe? Die Ideen sind teilweise grandios, witzig, skurril oder einfach ungewohnt. Ein Pastor steht mit seinem Wohnmobil auf einem Parkplatz vor einem Supermarkt, um ins Gespräch zu kommen. Eine Gemeinde läuft ein zu Telefonandachten. Mancher Schaukasten wird aus seinem Dornröschenschlaf geweckt und mit kurzen eingängigen Botschaften bestückt.

Viele Versuche, die Verkündigung zu gestalten. Was alle verbindet ist die Suchbewegung. Wenn gewohnte Formen nicht zugänglich sind, muss Neuland betreten werden. Das geschieht manchmal fröhlich, manchmal zaghaft. Je länger die Krise andauert, desto klarer wird, dass das Suchen anderer Wege nicht eine kurze Episode bleibt. Ich nehme wahr, dass wir uns als Kirche vorsichtig herantasten an andere Möglichkeiten. Das ist verbunden mit einer gewissen Unsicherheit. Wer tastet, ist zumeist nicht sicher und fest. Dazu kommt das Testen anderer Formen. Ob sie gut sind und tragen, kann niemand sagen. Auf alle Fälle nehmen viele Menschen Kirche wahr und bedanken sich für die Vielfalt.

Wie schön wäre es, wenn wir den Mut zum Ausprobieren behalten. Auch wenn nicht jeder Versuch von Erfolg gekrönt ist. Manchmal wird es bei einem Versuch bleiben. Dann wieder neu anzusetzen und es anders zu probieren: das gehört auch zum Suchen.

Diese Suchbewegung tut uns als Kirche gut. Sie ist Antwort auf Gottes Suchbewegung. Gott hat Sehnsucht nach Antwort und Dialog. „Die ihr Gott sucht, euer Herz lebe auf!“ heißt es im 69. Psalm. Gott suchen heißt nach christlichem Verständnis immer, die Menschen zu suchen. Eine suchende Kirche ist eine hörende und lernende Kirche. Darum bin ich in aller Verunsicherung froh, dass ich diese Suche stärker spüre als zu anderen Zeiten. Gemeinsam Suchende zu sein: etwas Besseres kann es nicht geben.

Karl Ludwig Schmidt
Superintendent im Amtsbereich Nord-West