Weltfriedenstag 2020

Strand
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Wer kennt das nicht. Diese kleinen Momente, die sich zu Unendlichkeiten ausdehnen können. Augenblicke, die nie zu vergehen scheinen. Frei vorm Tor und dennoch daneben. Endlich ein Treffen und es kommt kein Wort heraus. Mal wieder beim Arzt und dann plötzlich die unerwartete Diagnose. Die einen wollen im Boden versinken, die nächsten vor Scham die Blicke nicht heben und die dritten vor Angst nicht nach Hause. Da sind die Augen auf diesen einen Moment gerichtet, von dem zu befürchten bleibt, dass er sich ausweitet und größer wird. Die Sicht verändert. Auf einen selbst, auf andere, auf die Menschen, die Gesellschaft, die Welt um mich herum.

Einen kleinen Augenblick habe ich dich verlassen, aber mit großem Erbarmen werde ich dich sammeln, spricht Gott der Herr.

Als der zweite Weltkrieg begann, soll bei meinen Großeltern das Telefon geläutet haben. Mein Großvater hatte Geburtstag – aber es war kein Glückwunsch, sondern die Nachricht, dass es Krieg gäbe. Ein Schock, ein Augenblick nur – aber der wurde in der Tat immer größer, furchtbarer, unvorstellbarer. Der Faschismus hatte sich bereits in feinste Verästelungen des demokratischen Gewebes eingenistet und mit dem Krieg seine Maske endgültig abgelegt. Noch Generationen später leiden Kinder, Enkel und Urenkel an den Folgen dieser Barbarei.

Am 1. September erinnern wir uns wieder an diesen Beginn. Es hat lange gedauert, bis gesagt wurde: es ist großes Unrecht von Deutschland in die Welt getragen worden. Für nicht wenige in der Kirche zu lange – aber auf sie wurde nach dem Krieg kaum gehört. Daher ist es gut, an diesem Tag daran immer wieder zu erinnern. Denn es könnte ja sein, dass Gott immer noch dabei ist zu sammeln. Sich zu erbarmen nach dem einen Augenblick größter Verlassenheit. 

Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer. 

Es gibt vielleicht keine wichtigere Erkenntnis für unser Leben als die, dass wir einen Schöpfer haben und seine Geschöpfe sind. Wenn wir uns an die schweren Widerfahrnisse des Lebens erinnern – und damit an die Möglichkeit, dass Gott in seinem Zorn (wie es der Theologe Karl Barth ausdrückte) sein Angesicht vor uns tatsächlich verborgen hat - erinnern sie uns gleichzeitig daran, dass wir gegen allen verbreiteten Größenwahn und alle Gigantomie nicht mehr sind als Gottes Geschöpfe, aber auch nicht weniger. Das macht demütig; das gibt uns aber auch eine unverlierbare Größe. 

Auch daran sollten wir uns am 1. September erinnern lassen.

Ihr Pastor Matthias Riemann
Projektreferent des Stadtsuperintendenten