25 Jahre Jugendwohnbegleitung der Leine-Lotsen

Pressemitteilung Hannover, 14. Oktober 2021

Vier Jahre lang lebte Marvin A. (Name geändert) auf der Straße, schlief bei Freunden oder wo gerade ein Sofa frei war. Die Empfehlung eines Sozialarbeiters führte ihn zu Karin Kempf von der Jugendwohnbegleitung der Leine-Lotsen. Seit rund einem Jahr begleitet die Sozialpädagogin den 23-Jährigen. „Das hat mein Leben gedreht“, sagt Marvin A., der seit seiner Kindheit auf ein geregeltes Familienleben verzichten musste und verschiedene Heim- und Pflegeaufenthalte hinter sich hat. „Die Jugendwohnbegleitung war für mich die Chance“, sagt er und schaut zu Kempf. Mit Hilfe der Sozialpädagogin regelte er seine Finanzen, traute sich wieder auf Ämter und ging schließlich auf Wohnungssuche. Im Herbst wird er seine erste eigene Wohnung beziehen, dann kommt das nächste Projekt: den Hauptschulabschluss nachholen. Was hat ihm, der das Leben eher von der harten Seite her kennt, geholfen, durchzuhalten und sich eine Zukunft aufzubauen? „Ich wusste, hier kann ich immer herkommen, egal welche Probleme ich habe“, zögert Marvin A. keinen Moment mit der Antwort. 

Die Jugendwohnbegleitung der Leine-Lotsen des Diakonischen Werkes Hannover feiert jetzt ihr 25-jähriges Jubiläum. Sie unterstützt Heranwachsende bei Wohnungsproblemen, der Suche nach einer Ausbildung oder persönlichen Schwierigkeiten. Schaut Christian Boes, Abteilungsleiter der Jugend- und Familienhilfe des Diakonischen Werkes Hannover, auf das vergangene Vierteljahrhundert zurück, wird eines schnell deutlich. „Immer mehr junge Menschen brauchen solche Angebote wie die Jugendwohnbegleitung. Die Gruppe der von unserer Gesellschaft Abgehängten ist stetig gewachsen“, sagt Boes. „Den aktuell hohen Anforderungen an Leistung und Durchsetzungsvermögen genügen die Starken, die Schwachen kommen zunehmend nicht mehr mit.“ Im Übergang von der Schule in den Beruf zeigten sich die Probleme von jungen Menschen in prekären Lebenssituationen besonders deutlich. „Wer in Armut, mit wenig Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe und ohne ein unterstützendes Elternhaus aufgewachsen ist, hat überdurchschnittlich häufig Probleme bei der nächsten Lebensphase“, hat er beobachtet.

Kempf und ihre Kollegin Alena Stolz kennen viele Lebensgeschichten wie die von Marvin A.. Ein Jahr lang können die beiden Sozialpädagoginnen junge Frauen und Männer zwischen 18 und 25 Jahren mit der Finanzierung des Jugendamtes auf ihrem Lebensweg begleiten. Praktische Hilfe steht oft im Vordergrund: Es gilt finanzielle Probleme zu regeln, Bewerbungen für Praktika und Ausbildungen zu schreiben oder einen Aktionsplan für die nähere Zukunft aufzustellen. „Das Schwierigste ist meist die Wohnungssuche“, erzählt Kempf. „Viele unserer Ratsuchenden sind zu Hause oder aus ihrer Wohngruppe rausgeflogen, oft haben sie massive Probleme mit den Eltern, ihrem kulturellen Umfeld sowie Gewalterfahrungen.“ Ihnen droht Obdachlosigkeit, wer kann, schläft bei Freunden, manchmal eben auch im Freien. „Für Minderjährige gibt es Angebote wie ‚Bed by night‘, für junge Erwachsene fehlt Vergleichbares“, sagt Boes. „Und die Obdachlosenunterkünfte für Erwachsene sind kein geeignetes Umfeld für Heranwachsende.“ Boes sieht dringenden sozialpolitischen Handlungsbedarf. „Wir brauchen Notschlafstellen und Übergangs-Wohnformen für die Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen“, fordert er. 

Gut 60 Prozent der jungen Männer und Frauen konnten Kempf und Stolz im vergangenen Jahr zu einer eigenen Wohnung verhelfen. „Aufgrund unserer jahrelangen Erfahrung verfügen wir über Kontakte zu Vermietern und Wohnungsbaugesellschaften“, sagt sie. Enge Grenzen setzt allerdings der Wohnungsmarkt. „Unser Klientel benötigt kleine, bezahlbare Wohnungen, die fast nicht zu bekommen sind, besonders für junge Menschen mit geringem Einkommen oder im Hartz-4-Bezug“, stellt Boes fest.          

Zur Netzwerkarbeit der Jugendwohnbegleitung, die Teil der Jugend- und Familienhilfe der Leine-Lotsen ist, gehört auch die Kooperation mit der Arbeiterwohlfahrt und der Caritas, die ebenfalls Jugendwohnbegleitung anbieten. „Wir haben zurzeit eine Warteliste und verweisen die Ratsuchenden dann weiter“, sagt Kempf. Rund 35 Heranwachsende betreuten Kempf und ihre Kollegin im vergangenen Jahr, etwas mehr junge Frauen als junge Männer.

Boes freut sich über „eine sehr hohe Erfolgsquote bei der Vermittlung in Ausbildung oder Arbeit und der Sicherung des Lebensunterhaltes“. Für Kempf liegt das auch an der Vertrauensbeziehung zu den Ratsuchenden. „Die jungen Menschen merken, dass wir hier nicht nur reden, sondern auch praktisch da sind, sei es bei der Wohnungsbesichtigung, beim Gang zur Sparkasse, zu Ämtern oder Ärzten,“ sagt die Sozialpädagogin.