Alte Schriften neu entziffern

Nachricht Jakobi-Kirche, Hannover , 29. Januar 2020

Jakobi-Kirche lädt zu Sütterlin-Sprechstunde ein

Konzentriert wandert der Zeigefinger von Jürgen Zerfass über das Dokument mit den alten Schriftzeichen. „Das hier könnte ein G sein“, sagt er, hält inne  und vergleicht mit einem Sütterlin-Alphabet, das er vor sich auf dem Tisch liegen hat. „Und das muss das ein F sein.“ Wenig später kann Heiko Closhen notieren, dass seinem Ururgroßvater Gottfried Molter vom Standesbeamten ein „Zustand guten Führens“  bescheinigt worden war. „Das heißt wohl, dass er ein anständiger Bürger war“, sagt Closhen und lächelt verschmitzt.

Den Familienstammbaum endlich vervollständigen

Die beiden Männer beugen sich wieder über das Dokument und fördern weitere Details der Geburtsurkunde von Jakob Molter zutage, dem Urgroßvater von Closhen. Es gab Zeugen, mit denen Gottfried Molter am Vormittag des 6. Januar 1841 auf dem Standesamt erschien, um die Geburt seines Sohnes Jakob anzuzeigen. „Frisiermann“ sei der eine Zeuge gewesen, entschlüsselt Zerfass und die Mutter des Neugeborenen hieß Margarete. Zufrieden packt Closhen am Ende des Abends seine Unterlagen ein. Jetzt kann er den Familienstammbaum, den er schon bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgt hat, vervollständigen.

Der 78-jährige Hannoveraner ist einer der Teilnehmer der Sütterlin-Sprechstunde, die bereits zum zweiten Mal in der Jakobikirche stattgefunden hat. „Wir haben eine neue Veranstaltungsreihe unter dem Namen ‚Wissen weitergeben – Gemeinschaft erleben‘ gestartet“, sagt Initiatorin Sabine Wedekind. „Ziel ist, alte Kultur-Techniken und traditionelles Wissen zu bewahren und weiterzugeben.“ Die alte deutsche Schrift Sütterlin könne heute kaum jemand mehr lesen, hat sie erfahren. Doch viele Menschen besäßen noch alte Dokumente in dieser Schrift, die ihnen Aufschluss über ihre Familiengeschichte geben könnten.

Ein unerwarteter Erfolg

In der Sütterlin-Sprechstunde helfen ehrenamtliche Experten wie der 1932 geborene Jürgen Zerfass bei der Übersetzung alter Schriften. Ursula S., die 1934 eingeschult wurde und bis zum Verbot der Sütterlin-Schrift 1941 nur diese benutzte, gibt eine Schreibprobe der feingliedrig-schnörkeligen Schrift. „In Sütterlin wurde zwischen 1920 und 1941 geschrieben, davor wurde die deutsche Kurrentschrift verwendet“, erklärt sie. Sütterlin ist eine Variante der seit dem 16. Jahrhundert benutzten Kurrentschrift, lernen die Teilnehmer. Auch diese ist oft schwer zu entziffern, doch Ursula S. hat den Eintrag in einem Poesiealbum von 1905 schnell übersetzt. „Rosen und Nelken, blühen und verwelken, Marmor, Stahl und Eisen bricht, aber unsere Freundschaft nicht“ hat ein Freund dort dem Urgroßvater einer anderen Teilnehmerin geschrieben.

Wedekind und Diakonin Insa Siemers waren von dem guten Echo auf das neue Angebot überrascht. Die ursprünglich nur für einen Abend geplante Sütterlin-Sprechstunde soll jetzt regelmäßig am letzten Mittwoch des Monats um 20 Uhr stattfinden. In der Reihe „Wissen weitergeben – Gemeinschaft erleben“ finden aber auch noch andere Veranstaltungen statt. So stieß auch das Angebot einer offenen Häkel- und Strickwerkstatt auf gute Resonanz und wird jetzt regelmäßig am zweiten Montag jedes Monats um 19 Uhr im Jakobi-Gemeindehaus angeboten.

Kunst des Schönschreibens und persönliche Kontakte

Im Frühjahr können Interessierte dann noch den alten Klosterstich erlernen. „Das ist ein mittelalterlicher Stickstich, mit dem beispielsweise im Kloster Wienhausen Teppiche hergestellt wurden“, sagt Wedekind. Eine Expertin für die alte Handwerkstechnik  hatte sich nach Wedekinds Ankündigung der neuen Reihe mit diesem Angebot gemeldet. Weiter ist geplant, einen Kalligraphie-Abend in der Reihe „Wissen weitergeben – Gemeinschaft erleben“  zu veranstalten. Diese Kunst des „Schönschreibens“ von Hand hat ein Gemeindemitglied von Jakobi noch mit Federkiel erlernt. Und vielleicht finde sich ja noch jemand, der die alte Technik des Mähens mit der Sense vermitteln wolle, hat Wedekind noch weitere Ideen. „Wir wollen hier aber nicht nur Fertigkeiten vermitteln, die man auch auf einem Youtube-Video sehen könnte“, betont sie nachdrücklich. „Wichtig ist die persönliche Begegnung, es geht auch um Austausch und neue Kontakte im Stadtteil Kirchrode.“

Autorin: Sabine Dörfel/Stadtkirchenverband Hannover

Kontakt zur Jakobi-Kirchengemeinde

Wer Dokumente, Urkunden, Briefe oder Tagebücher in der altdeutschen Schrift besitzt und diese entziffert haben möchte, kann Hilfe von ehrenamtlichen Sütterlin-Experten bekommen.

Sütterlin-Sprechstunde:
letzter Mittwoch im Monat
20.00 bis 21.30 Uhr
Anmeldung über: Sabine Wedekind, Tel. 0511 952 54 94

Weitere Infos zur Sprechstunde:

insa-siemers
Insa Siemers