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Die Taufzahlen in der Seelzer St.-Martins-Kirche schnellen in die Höhe

Nachricht 21. Dezember 2019
St-Martin-Seelze-Taufen
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In die Klagen über eine schrumpfende Bedeutung der Kirche kann Pastor Ortwin Brand nur sehr bedingt einstimmen. Zwar sind die Mitgliederzahlen in der St.-Martins-Gemeinde in Seelze wie in vielen Kirchen leicht rückläufig, doch Brand verzeichnet seit kurzem einen rasanten Anstieg der Taufen. Drei bis vier Taufen sind es mittlerweile pro Monat, im Jahr 2019 waren es knapp 50.

„2014 waren es lediglich zwölf, das steigerte sich dann kontinuierlich jedes Jahr“, blickt der Pastor zurück. Ganz überraschend kommt das für Brand nicht. „Wir haben in unserer Gemeinde einen Schwerpunkt in der Arbeit mit jungen Familien gesetzt“, erzählt er. Speziell an Eltern mit Kindern vor der Kitazeit richten sich besondere Veranstaltungen in St. Martin. Im Rahmen des Projektes „EliSe“ (Eltern in Seelze) bietet die Gemeinde an den Standorten Seelze und Lohnde Elterntreffs an, es gibt Krabbelgruppen, eine Hebamme kommt in die Kirchenräume, um junge Eltern zu beraten, weiter finden Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungsgruppen statt. Bei speziellen Fragen der Eltern kommen auch Mitarbeiter der Erziehungsberatungsstelle in das regelmäßig stattfindende Cafe „Regenbogenzeit".

Seit zwei Jahren koordiniert eine Diakonin das Projekt „EliSe“, das sich auf die Kirchengemeinden Kirchwehren, Harenberg, Seelze, Letter und Lohnde erstreckt. „Wenn Eltern merken, dass sie mit ihrer Lebenssituation in der Kirche vorkommen, nehmen sie auch das Angebot zur Taufe gerne an“, sagt Brand. Besonders freut ihn, dass auch viele alleinerziehende Mütter ihre Kinder in St. Martin taufen lassen. „Sie bringen Freunde oder Angehörige mit und fühlen sich ebenso willkommen wie die Familien“, hat er erfahren.

Die Taufgottesdienste hält Brand immer am Samstagnachmittag. „Diese Zeit ist familienfreundlich und ich kann so auch die Liturgie und Musik speziell auf die Tauffamilien abstimmen“, erläutert der Pastor. Gerne bezieht er die Geschwisterkinder oder Familienangehörigen in die Taufzeremonie mit ein, wie zum Beispiel beim Eingießen des Taufwassers. Jeder Täufling erhält ein Holzfischlein, das an den großen Fisch in der Kirche gehängt und nach einem Jahr an die Tauffamilie zurückgeschickt wird.

„Wir haben hier in Seelze durch Neubaugebiete einen starken Zuzug von jungen Familien“, erzählt Brand. Seelze und Umgebung seien als „Speckgürtel von Hannover“ bei dieser Zielgruppe begehrte Wohngebiete. „Wir sehen unsere Arbeit von daher auch als Gemeinwesenarbeit“, sagt er. Es sind aber nicht nur junge Familien, die vermehrt die Taufe ihrer Kinder wünschen. Seelze ist ebenso durch eine multinationale Bevölkerung geprägt. „In unseren Sonntagsgottesdiensten sitzen Menschen aus Afrika, Asien oder dem Mittleren Osten“, erzählt der Theologe. 15 Täuflinge in diesem Jahr hätten einen Migrationshintergrund. Es sind vor allem Iraner, die Pastor Brand in seinen Taufkursen unterrichtet. „Ostern haben wir vier ganze Familien aus dem Iran getauft“, berichtet er. Der nächste Taufgottesdienst für den derzeit laufenden Kursus mit zwei iranischen Familien ist der 29. Dezember. Brand kann die Kurse zweisprachig abhalten. Der Küster der Gemeinde, der aus Iran kommt und Farsi spricht, dolmetscht für ihn.

Für Brand sind die Taufkurse eine „spannende theologische Herausforderung“. Zwar folgt er bei seinem Unterricht einem landeskirchlichen Curriculum, doch „im Mittelpunkt stehen die Fragen der Taufwilligen“. Die Iraner brächten einen großen Wissensdurst und eine hohe Motivation, sich mit Glaubensthemen auseinanderzusetzen, mit. Aus der muslimischen Tradition kommend, sei es für sie neu, „sich jetzt frei und selbstverantwortlich ein religiöses Urteil bilden zu können“, sagt der Pastor. „Sie haben eine große Sehnsucht, sich über Glaubensfragen Klarheit zu verschaffen“. Immer wieder sei für sie das christliche Bild des gnädigen Gottes, der auch Menschen mit Fehlern annimmt, neu und überraschend. „Das ist doch das, was sich unsere Kirche wünscht“, sagt der Theologe. „Jeder einzelne Christ soll im Glauben urteilsfähig werden und seine eigene Haltung und Beziehung zu Gott finden.“         

Sabine Dörfel